Sonntag, 12. Juli 2015

GBT Wanderwegprojekt Tag 3

Wie es so ist mit guten Vorsätzen... Ich wollte jeden Tag Tagebuch führen, aber schlussendlich war es eben spannender mit den anderen Lagerteilnehmern Zeit zu verbringen und so habe ich seit gestern keine Aufzeichnungen mehr, ausser meiner Erinnerung.
Dunkle Woken ziehen auf, es wird kalt

Das Wetter beginnt umzuschlagen, aber so lange es noch nicht regnet können wir arbeiten. Doch schön der Reihe nach. Der Morgen beginnt natürlich wieder mit Morgenturnen unter Romans Anleitung. Anschliessend heisst es "миски на стол" (miski na stol), das Frühstück ist bereit.  Nach dem Frühstück schickt uns Roman alle zuerst mal Holz sammeln, damit die nächsten Diensthabenden sich auf die Zubereitung des Mittages werden konzentrieren können. Der Wechsel der Diensthabenden ist immer nach dem Frühstück. D.h. zwei Leute bleiben im Lager einerseits als Wache und andererseits als Köche. Die "Schicht" beginnt mit der Zubereitung des Mittagessens und endet nach dem Frühstück am nächsten Tag.
Nach der Holzsammel-Aktion wollen wir los, doch wo ist Siv? Im Zelt ist sie nicht und auch auf Rufe erhalten wir keine Antwort. Plötzlich taucht sie wieder auf, schwer beladen mit dicken, trockenen Baumstämmen. Das ist Siv, wenn es darum geht richtig zuzupacken immer zu vorderst.

Nun teilen wir uns in zwei Gruppen auf. Eine Gruppe schnappt sich die Spitzhacke und die zwei Schaufeln und macht sich auf den Weg zurück zur Passhöhe, von wo wir gestern gekommen sind. Auf der Serpentine im Abstieg zum Lagerplatz gibt es einige Stellen, die verbreitert und befestigt werden müssen.

Ich nehme es heute etwas ruhiger, da ich immer noch Schmerzen in der Lendenwirbel-Gegend verspüre. Am Bach entlang, unweit des Lagerplatzes führt der Weg durch dichteste, hohe Vegetation, die den Weg so bedrängt, dass man nicht mehr ungehindert passieren kann. Also schneiden wir zu beiden Seiten alles so weit zurück, dass wieder ein 90cm breiter Korridor entsteht. Einerseits schade, denn mir gefällt es, wenn es wild aussieht, aber andererseits wäre der Weg in einem Jahr wahrscheinlich komplett zugewachsen.

Am Nachmittag beginnt es zu Regnen. "Zu gefährlich zum Arbeiten.", sagt Roman und wir bleiben im Lager. Jetzt wäre Zeit, Tagebuch zu führen, aber dann könnte ich ja nicht an den Spielen teilnehmen - da sind die Prioritäten schnell gesetzt.

Wir spielen Gordischer Knoten, Standhalten (hier als Burjatskaja Borba bekannt), tanzen einen burjatischen Tanz und spielen Begriffe raten, die gezeichnet, pantomimisch dargestellt oder verbal erklärt werden müssen ohne den zu erratenden Begriff zu nennen. Die Zeit vergeht viel zu rasch.
Begriffe raten. Anja übersetzt für Siv
Wir versuchen, den Gordischen Knoten zu lösen
Der Burjatische Tanz gelingt so einigermassen - Hauptsache es macht Spass

Bis spät in die Nacht sitzen wir noch um das Lagerfeuer. Spätestens ab diesem Abend tragen wir alle das gleiche "Rauch-Parfüm". Wunderbar - Pfadfinderlager für Erwachsene.  

Samstag, 11. Juli 2015

GBT Wanderwegprojekt Tag 2

Morgenturnen mit Roman
Die erste Nach im Zelt war gut, ich habe wunderbar geschlafen und auch mein Zeltgenosse Andreas ist guter Laune. Yulia und Tomer sind noch auf Dienst und bereits damit beschäftigt das Frühstück zuzubereiten während Roman uns zum Morgenturnen animiert.
Es gibt feinen Porredge zum Frühstück und frisch gestärkt machen wir uns an die Arbeit.
Sascha und Andreas entfernen Farn
Es geht darum, denn Weg zu verbreitern, dort wo er zugewachsen ist. Das Ziel ist einen Korridor zu schaffen, der mindestens 60cm, besser 90cm breit ist und frei von Ästen. Mit Baumscheren, Sägen, Pickel und Schaufel machen wir uns an den Unterhalt eines Abschnitts von ca. 2km länge und einer Steigung von 400m. An einigen Stellen graben wir Farn aus, da es den Weg schon beinahe überwachsen hat. Ich denke, dass diese Arbeit alle zwei Jahre oder sogar jährlich nötig ist.
Es ist heiss und schwühl. Die Arbeit macht uns schwitzen. Zum Glück hat es keine Mücken. Ich habe vorsichtshalber ein Mückennetz mitgenommen, das ich mir über den Kopf stülpen könnte, brauche es aber nicht. Gut so. Da wir im Halbschatten des Waldes arbeiten können, besteht auch nicht Sonnenbrandgefahr. Während Andreas, Sascha und ich die ganze Zeit mit Farn ausgraben beschäftigt sind, macht sich eine andere Truppe auf den Weg bis zur Passhöhe. Sie schneiden alle Äste zurück, die in den Weg wachsen. Auf der Passhöhe suchen sie ein geeignetes Versteck für das Werkzeug, um es nicht wieder ins Lager tragen zu müssen. Wir sind mit der Bearbeitung dieses Abschnitts wesentlich schneller fertig als geplant, sodass Roma beim Mittagessen beschliesst, das Lager abzubrechen und weiter zu ziehen zum nächsten Lagerplatz. Ursprünglich war das erst für den nächsten Tag vorgesehen. Wären wir geblieben, hätten wir bereits wieder ein paar Kilogramm Lebensmittel verbraucht, die wir durch den vorzeitigen Aufbruch nun auch tragen müssen. Also werden die ganzen 90kg Esswaren auf uns sechs Männer verteilt. Schwer bepackt mit Zelten, der ganzen restlichen Lagerausrüstung, wie Pfannen, Kettensäge, Benzin, WC-Zelt etc. und jeder natürlich zusätzlich mit seiner persönlichen Ausrüstung machen wir uns auf den Weg. Dieser erste Abschnitt ist der anspruchsvollste, da wir 400Höhenmeter überwinden müssen mit schwerem Gepäck. Danach wird es von Tag zu Tag leichter werden, weil der Lebensmittelvorrat kleiner wird. Wie schwer mein Rucksack genau ist kann ich nicht sagen. 20kg? 24kg? Ich komme jedenfalls nur mühsam vom Fleck. Immer wieder denke ich: "Ich muss es einfach schaffen!" Die Schmerzen in den Hüften sind schlimm. Ich kann nur ganz kleine Schritte machen. Ohne Anja hätte ich es vielleicht nicht geschafft. Sie ist immer hinter mir geblieben und hat mir Mut gemacht.
Kurze Rast auf der Passhöhe













Endlich ist die Passhöhe erreicht und auf dem Abstieg habe ich keine Probleme mehr, sodass ich das Tempo der Gruppe locker mithalten kann. Kurz vor Erreichen des Lagerplatzes sagt Andreas: "So, ich bin müde, jetzt müssen wir halt umkehren!" Haha, der Scherz ist gelungen :-). Der neue Lagerplatz ist sehr schön gelegen an einem Bach am Ufer des Baikalsees. Sogar ein stabiler, grosser Tisch mit Bänken ist vorhanden!

 Die Stimmung ist trotz der Strapazen grossartig. Auch heute gibt es nach dem Abendessen wieder Spiele. Wir müssen 11 Fakten über den Baikalsee und die Umgebung aufzählen und 11 Lieder singen, die mit Wasser zu tun haben. Dann spielen wir ein Ballspiel. Roman nennt seinen Namen, ruft "Sascha" und wirft ihm einen Tennisball zu. Nun nennt Sascha seinen Namen, ruft "Nelly" und wirft ihr den Ball zu. So geht es weiter bis der Ball bei jedem/jeder war und wieder zu Roman zurück kommt. Dann das gleiche in der genau gleichen Reihenfolge, aber mit drei Bällen, die kurz hintereinander ins Rennen geschickt werden. Und zum Schluss das Ganze noch rückwärts! Ein weiteres, lustiges Spiel ist "Durchzählen". Niemand darf die Führung übernehmen, es dürfen keine Zeichen gemacht werden und es darf nicht der Reihe nach durchgezählt werden. Ziel ist es, von 1 bis 11 durchzuzählen ohne dass zwei Personen gleichzeitig eine Zahl rufen. Wir schaffen diese Aufgabe in erstaunlich kurzer Zeit. Nach bestandener Prüfung werden wir zu echten BBT-schniki erklärt und von Anja mit einer BBT-Torte belohnt. Nun weiss ich, wozu ich zwei grosse Büchsen Ananas über den Berg schleppen durfte. Die Torte hat natürlich ausgezeichnet geschmeckt!
BBT Ananas-Torte
















Nach diesem anstrengenden Tag werden wahrscheinlich alle gut schlafen. Hoffentlich gilt das auch für mich, denn ich habe etwas Schmerzen im Lendenwirbel-Bereich. Wie sich herausstellt werde ich nicht durch Schmerzen geweckt, sondern von Andrej und Anja, die im Nachbarzelt irgend etwas mitten in der Nacht zu reden haben. Wie sich herausstellt hatte Andrej eine Zecke auf sich entdeckt und sie aber wieder verloren worauf sich die zwei gemeinsam auf Zeckenjagt im Zelt machten.

Freitag, 10. Juli 2015

GBT Wanderwegprojekt Tag 1

Nach einer unruhigen Nacht - ich bin, wie es scheint, doch ein bisschen nervös - stehe ich um 7 Uhr auf, rasiere mich (zum letzten mal für die kommenden sieben Tage), dusche, esse ein bisschen was und warte dann auf Vera für die Schlüsselrückgabe. Sie kommt wie versprochen um 8:20 Uhr. Ein Küsschen da, ein Küsschen da und schon marschiere ich los zum GBT-Büro. Ich bin gespannt, wen ich treffen werde. Ausser Yulia kenne ich noch niemanden. Kurz vor 9 Uhr treffe ich ein. Wo ist das Büro? Wahrscheinlich im Innenhof. Auf dem Gehsteig entdecke ich einen mit Kreide gemalten Wegweiser.
Eine enge Treppe führt in einen kleinen Raum hinunter, wo bereits einige Teilnehmer versammelt sind. Überall liegt in Plastiksäcke verpacktes Material. Dazwischen Schaufeln, Spitzhacken, Sägen und Baumscheren. Anna Belova vom GBT-Büro begrüsst mich. Ich hatte bereits eine Anzahlung von 50 USD gemacht und nun wird noch der Restbetrag von 2700 RUB fällig. Anna ist sehr froh, dass ich alles in 100 Rubel-Scheinen bezahle. "Вы спасли нас!" - Sie haben uns gerettet, meint sie. Bis jetzt höre ich nur Russisch, wenn auch zum Teil mit Akzent. Da ist z.B. Andreas, ein deutschstämmiger Russe, der vor 22 Jahren nach Deutschland übersiedelt ist. Und Nelly aus Kasachstan, aufgewachsen in Deutschland. Nur zwei können wenig oder kein Russisch, aber das macht nichts. Es sind genügend Leute da, die übersetzen können.

Ein junger, schlanker Mann stell sich vor. "Ich bin Roman, euer Brigadier auf diesem Projekt. Wir bilden jetzt eine Materialtransport Kette um diese Plastiksäcke, die Zelte, die Werkzeuge und unsere Rucksäcke nach oben zu transportieren wo wir es in die zwei kleinen Busse verladen mit denen wir nach Listvjanka fahren."



Vor der Abfahrt machen wir ein erstes Gruppen-Foto.
Wir das sind Yulia aus Odessa, Roman aus Angarsk, Anna aus Irkutsk, Andrej & Anja aus Moskau, Andreas aus Biberach, Nelly aus Dresden, Alesja aus Orenburg, Tomer aus London, Siv aus Oslo, Nina aus Novosibirsk, Aleksandr aus Moskau und ich.




WC
Erstes Zeltlager
Nicht weit von Listvjanka schlagen wir unser erstes Zeltlager auf. Es ist eine kleine Lichtung an einem Bach, der uns mit frischem, kaltem Trinkwasser versorgt. 50 Meter vom Zeltplatz entfernt gräbt Andreas ein Loch: das WC. 10 Meter neben der Feuerstelle ein zweites Loch für Kompost. Währenddessen stelle ich unser Zelt auf. Andreas und ich wohnen im gleichen Zelt. Es ist sehr heiß. Kein kühlender Wind. Wir schützen uns vor der Sonne, indem wir ein großes Sonnensegel aufstellen. Dann gibt Roman das Kommando: "За дровами!" - Brennholz suchen für unsere дежурные (Diensthabende). Jeden Tag sind zwei von uns im Dienst. Er beginnt nach dem Frühstück und beinhaltet das Kochen des Mittag- und Abendessens, die Bewachung des Lagers und am nächsten Morgen die Zubereitung des Frühstücks. Den Anfang machen Yulia und Tomer. Sie bleiben im Lager während wir nach Listvjanka wandern. Einige von uns baden kurz im sehr kalten Baikalsee. Danach besuchen wir den Markt. Andrej und seine Frau Anja kaufen heißen Omul. Er schmeckt fantastisch! Ich habe noch nie so leckeren Fisch gegessen.

Wir kehren zurück ins Lager, wo unser Brigadier Roma den korrekten Umgang mit Werkzeug zeigt und Informationen zum Projekt gibt. Unweit des Zeltplatzes beginnen wir damit, den Wanderweg zu verbreitern. An einer sumpfigen Stelle wächst sehr viel Farn. Mit Spitzhacke und Schaufel verbreitern wir den Wanderweg auf 60 bis 90 cm. Nach ein bis zwei Jahren wird man dies wiederum tun müssen. Auf dem Rückweg ins Lager sammeln wir unterwegs Brennholz zum Kochen und für das Lagerfeuer.


Vom offenen Feuer
schmeckt es am besten
Zum Abendessen genießen wir frischen Salat und leckeren Borsch. Gut gemacht Yulia und Tomer!

Wie heisst mein Gegenüber
hinter dem Tuch?
Nach dem Essen schlagen Anja und Roman ein Spiel vor. Sie halten ein Tuch gespannt, sodass es eine Wand bildet. Eine Hälfte der Teilnehmer setzt sich links davon, die andere Hälfte rechts davon hin. Von jeder Gruppe setzt sich jemand ganz leise dicht an das Tuch. Dieses fällt auf 1,2,3 und ich muss so schnell wie möglich den Namen meines Gegenübers nennen. Bin ich schneller wechselt die andere Person zu unserem Team.

Eine weitere Zeremonie, die jeden Abend stattfinden wird ist die Wahl des "Mensch des Tages". An diesem ersten Abend wir Tomer ausgewählt. Er kommt aus London, ist zum ersten Mal in Russland ohne ein Wort zu verstehen und ist zu Hause wohl eher hinter dem Computer anzutreffen als draussen. Nun soll er plötzlich unfiltriertes, rohes Wasser aus dem Bach trinken, Feuer machen und Abendessen kochen! Er hat diese neue Herausforderung gut gemeistert - mit Hilfe von Yulia, die ihm klar machte, wo es lang geht. Er geniesst seine Wahl zum "Mensch des Tages" und sagt sein erstes, russisches Wort: Dobry den (guten Tag). Roman, der neben ihm steht flüstert ihm zu: "Du hast doch noch ein Wort gelertn, Spasibo (danke)!" "Das kommt morgen!" erwidert Tomer ohne die Mine zu verziehen und löst damit allgemeines Gelächter aus.
In dieser lustigen Gesellschaft bin ich mit 53 der älteste. Jedoch ist der Altersunterschied nicht sehr groß. Andrej ist 50, Anja 48, dann folgen Siv und Andreas mit 44 und 43. Etwa die Hälfte ist über 40.
Für Anja und Roman eine ganz neue Erfahrung, denn normalerweise haben sie mit Studenten zwischen 20 und 30 zu tun. Für dieses Projekt hatten sich 14 Personen angemeldet. Zusammen mit dem Brigardier, der Übersetzerin und dem Helfer des Brigardiers wären wir 17 Leute gewesen. Drei Teilnehmer haben kurz vor dem Projekt sich abgemeldet und der Helfer ist buchstäblich in letzter Minute abgesprungen. Anja hat sich bereit erklärt, die Aufgaben des Helfers zu übernehmen. Am ersten Tag macht sie Inventar aller Lebensmittel und erstellt die Speisekarte für die ganze Woche. Sie hat es super gemacht, ganz großes Dankeschön, Anja!

Anja (links) & Roman (rechts) machen
Inventar und Speisekarte
















Donnerstag, 9. Juli 2015

Ein Tag in Irkutsk

Ich stehe spät auf und frühstücke. Schade, dass meine Gastgeberin Tamara nicht hier ist. Ich hätte sie gerne kennen gelernt. Sie hat mir, einem Fremden, einfach die Wohnungsschlüssel überlassen. Das ist nicht ganz selbstverständlich. Später wird sie mir erklären, dass auch ihre Freunde sie davor gewarnt haben, einem Unbekannten die Schlüssel anzuvertrauen. "Ach, was!", sagt sie, "Ein Mensch, der sich als Freiwilliger meldet, um die Wanderwege am Baikalsee in Ordnung zu halten ist ein guter Mensch, der wir mich nicht ausrauben!" Ich habe das Gegenteil gemacht. Bei ihrer Rückkehr aus dem Spital haben als Geschenk zwei Tafeln Schweizer Schokolade, ein roter Kugelschreiber mit Schweizer-Kreuzen und ein Sack Basler Läckerli auf sie gewartet.

Für den Nachmittag habe ich mit Yulia aus Odessa abgemacht. Sie ist auch Freiwillige im Projekt В таёжный край Прибайкалья (The Land of Baikal Taiga) der Organisation The Great Baikal Trail. Wir kennen uns noch nicht. Treffpunkt ist um 14 Uhr im Park Gorky-Denkmal im Zentrum von Irkutsk. Zehn Minuten vorher bin ich dort und Yulia trifft auch gerade ein. Sie schlägt vor, am Uferweg der Angara entlang zu spazieren. Einverstanden.


Unterwegs sehen wir ein kleines Touristen-Schiff am Pier. Yulia fragt, ob es bald eine Rundfahrt geben wird und was diese kostet. Für 150 Rubel machen wir eine halbstündige Rundfahrt auf der Angara.






Dann schlendern wir weiter durch einen kleinen Vergnügungspark auf einer Insel und von dieser weiter auf die nächste Halbinsel wo wir eine Fahrt auf einer kurzen Eisenbahn-Rundstrecke machen, die von Kindern betrieben wird. Dies ist der Weg von unserem Treffpunkt bis zur Eisenbahn.

Unterwegs schwatzen wir über dies und das, wer womit sein Geld verdient und dergleichen. Dann führt uns dieser Weg zum Wappentier von Irkutsk dem Babr.
Babr mit Zobel im Maul
Danach möchte Yulia noch die Kirche nebenan besuchen. Ich warte auf sie draußen. Es ist sehr heiß. Als sie wieder heraus kommt, wissen wir nicht so recht, wohin wir nun noch gehen sollen. An einer Bushaltestelle sieht Yulia den Bus, der sie zu ihrem Hostel zurück bringt, hüpft rein und ruft "Poka!" (tschüss) und weg ist sie. Soll ich auch einen Bus nehmen oder ein Taxi? Ich entschließe mich, zur Rückkehr zu Fuß. Der Weg führt mich wieder der Angara entlang und über die Glazkovskii Brücke zu Tamara's Homestay.

Koreanisches Fertiggericht in Isolierschale
Da ich in der Transsibirischen Eisenbahn meine sämtlichen Lebensmittel verschenkt habe, kaufe ich mir unterwegs zwei Schalen доширак лапша (Koreanisches Nudel Fertiggericht) zu je 34 Rubel (0.53 CHF).

Wieder zurück in der Wohnung packe ich meinen Rucksack neu. Morgen beginnt das Wanderweg-Projekt und ich will das Gewicht auf ein Minimum herunter drücken. Ich gehe alles nochmals durch und überlege mir bei jedem Ding, ob ich es mitnehmen soll. So trenne ich mich vom Rasierspiegel, dem Rasierer, dem Tagesrucksack, dem dritten T-Shirt, reiße aus dem Tagebuch die Hälfte der leeren Seiten heraus und lasse die Zahnpasta zurück (ich habe ein halbes Stück reine Seife dabei, das geht prima zum Zähneputzen). Was ich sonst noch alles in Tamaras Wohnung lasse, weiß ich im Detail nicht mehr. Wichtig ist das Resultat: ich schaffe es, das Gewicht inklusive Rucksack auf 9 Kg zu reduzieren. Nach dem Projekt werde ich wieder bei Tamara übernachten und die jetzt aussortierten Sachen dann wieder mitnehmen.

Morgen beginnt das Projekt. Ich bin gespannt auf die anderen Teilnehmer.

Mittwoch, 8. Juli 2015

Tamara's Homestay Irkutsk

Pünktlich um 9 Uhr abends Lokalzeit komme ich im Bahnhof Irkutsk Passazhirsky an. Über airbnb habe ich lange zum voraus eine Übernachtung bei Tamara's Homestay gebucht. Tamara kann mich leider nicht abholen, da sie unverhofft für ein paar Tage ins Spital musste. Ihre Tochter Vera mit Sohn treffen mich und begleiten mich in die Wohnung. Sie zeigt mir, was wo ist, gibt mir den Wohnungsschlüssel und erklärt, dass sie am nächsten Morgen wieder kommt, um die Anmeldeformulare abzuholen. Die Formulare... Innerhalb von sieben Tagen seit Einreise müssen ausländische Touristen sich in Russland registrieren. Das bedeutet, ein zweiseitiges Formular im Doppel fehlerfrei ausfüllen. Es muss alles in der gleichen Handschrift ausgefüllt sein und darf keine Korrekturen enthalten. Tamara hat mir einen ganzen Stapel dieser Formulare auf dem Küchentisch bereit gelegt und ein Muster dazu, wie es auszufüllen ist. Doch zuerst gehe ich jetzt duschen. Etwa um 23 Uhr starte ich den ersten Versuch. Es braucht Zeit, denn mir fehlt die Übung in kyrillischen Druckbuchstaben zu schreiben. Endlich, erste Seite fertig, alles ok. Weiter mit der zweiten Seite. Etwa zur Hälfte fertig schreibe ich plötzlich ein lateinisches R statt des russischen (Р). Mist. Nächste Garnitur, nochmals von vorn. Der nächste Versuch scheitert ebenfalls. Auch der dritte Anlauf endet im Papierkorb. Morgens um 1:30 Uhr bin ich endlich fertig, allerdings mit einer kleinen Korrektur, die aber hoffentlich akzeptiert wird.
Nun mache ich noch Wäsche, damit sie morgen trocknen kann und falle todmüde ins Bett.

Die Wohnung ist hübsch eingerichtet. Wie so häufig in Russland sind die Gebäude von außen unansehnlich, die Treppenhäuser stinkig und die Wohnungstüren gleichen Panzertüren, aber die Wohnungen selbst sind gepflegt. Nach Schweizer Maßstab ist es eine 3.5 Zimmer Wohnung mit großem Bad und großer Küche, alles zweckmäßig und modern eingerichtet. In der Küche gibt es sogar einen Umkehrosmose-Filter für sauberes Trinkwasser. Auf dem Küchentisch liegen für mich Tomaten, Gurken und junge Zwiebeln (alles aus Tamaras Garten), Kekse, Brot und Streichkäse.

Am Morgen holt Vera wie versprochen die Formulare ab. Ich gebe ihr Geld mit. Die Registration kostet ungefähr 300 Rubel. Eine halbe Stunde später kommt sie zurück. Alles nochmals von vorne, ich habe An- und Abreise-Datum verwechselt. 

Transsib Tag 4

In Novosibirks steigen Raja und Sascha, meine neuen Gefährten, ein. Sie stammen aus Sibirien, leben jetzt in Perm und sind unterwegs nach Vladivostok zu ihren Verwandten. Es sind sehr nette Leute, die mich mit Essen verwöhnen. Wenn es Zeit ist für ein Mal, deckt Raja den Tisch mit einem hübschen, kleinen Tischtuch. Dann zaubert sie Tomaten und Gurken - natürlich aus dem eigenen Garten - sowie Salz, Wurst, Käse, Brot und Süssigkeiten hervor. Die Einladung abzulehnen wäre eine Beleidigung. Meine Vorräte werden knapp. Ich steuere meine verbleibenden Babybel Käslein bei.
Sascha verstehe ich leider kaum, da er sehr leise spricht. Wir plaudern viel miteinander, so viel, dass ich mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnere.

So vergeht die Zeit wie im Flug. Wir nähern uns meinem Ziel Irkutsk und es wird langsam Zeit, seine sieben Sachen zusammen zu packen. Bislan, mein neuer Freund aus Grozny, kommt zu mir mit einem 50 Rubel-Schein. Er schreibt eine Widmung darauf: "Zur Erinnerung von Bislan an Ruedi" und das Datum. Ich finde das eine lustige Idee und hole auch einen 50 Rubel-Schein hervor, worauf Raja meint: "Nein, nein, du musst ihm eine Schweizer Note geben." Das hat was, aber ich habe keine dabei, nur Münz. Ich nehme einen Fünfliber (5 Franken-Stück) aus dem Portemonnaie mit der Bemerkung, dass ich nichts darauf schreiben kann und schreibe meine Widmung dann doch auf einen 50 Rubel-Schein. Den Fünfliber will ich einfach zeigen, da hier noch niemand Schweizergeld gesehen hat. Bislan interpretiert das wohl etwas anders und behält ihn für sich als Geschenk. Na, auch gut, denke ich, hoffentlich fragt er nicht nach dem Wert. Kaum gedacht kommt schon die Frage. Es ist mir etwas peinlich, soll ich es sagen? Ich sage es ihm: 325 Rubel. Es entgeht mir nicht, dass Raja nun ein bisschen neidisch ist. Sie hat immer wieder versucht, mir meinen Titan-Becher als Erinnerung abzuschwatzen. Da ich den aber dringend brauche für ein einwöchiges Wanderweg-Projekt am Baikalsee will ich ihn nicht hergeben. Bislan rettet mich indem er fragt: "Ist dieser Becher ein Geschenk von jemandem?" Ich begreife und antworte: "Ja, von meinem besten Freund." Darauf Bislan: "Dann darfst du ihn nicht verschenken. Geschenke darf man nicht verschenken!" Da ich nichts dabei habe, was ich entbehren könnte, schenke ich Raja zwei Tafeln Schweizer Schokolade, natürlich mit Widmung. Dann tauschen wir noch die Adressen aus und ich bekomme eine Einladung nach Perm, ich soll sie und Sascha unbedingt besuchen kommen. Natürlich erhalte ich auch ein Erinnerungs-Geschenk: eine Tube Handcrème "Бархатные руки" (Samtige Hände). Dann verteile ich noch die Schokoladenstängel, die mir meine Mutter mitgegeben hat. Das in dünne Scheiben geschnittene, getrocknete Steinofenbrot findet bei den Tschetschenen dankbare Abnehmer: "Сухарики к чаю".

Am Bahnhof von Irkutsk will ich gar nicht so recht aussteigen. Es hat sich in den vier Tagen seit Moskau eine fröhliche Gemeinschaft gebildet und das Leben im Zug gefällt mir. In unserem Wagen Nr. 13 hatten wir auch Glück mit der Provodniza und dem Provodnik ihrem Mann. Sehr nette Leute und sie haben den Wagen immer sehr sauber gehalten. Jeden Tag sind nicht nur die Toiletten, sondern der ganze Wagen geputzt und feucht aufgewischt worden.


Zum Abschied gibt es herzliche Umarmungen, Glückwünsche und Erneuerungen der bereits ausgesprochenen Einladungen. So endet ein lang gehegter Wunsch: eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn.

Im Bahnhofsgebäude werde ich bereits von Vera erwartet mit einer kleinen Tafel "Tamara's Homestay". 

Dienstag, 7. Juli 2015

Transsib Tag 3

Wieder eine kuze Nacht. Ich habe allen möglichen Blödsinn geträumt. Verfolgungszeugs. Irgendwie spannend, aber auch anstrengend, passend zur Reise.Wirklich tief schlafen kann ich nicht, aber es ist auch nicht nötig. Wenn ich ausruhen will, kann ich mich jederzeit hinlegen.
Gestern tauchte plötzlich ein Mann auf, der in extrem harschem Ton meine drei Jungs zurechtgewiesen hat, sie mögen ja nie mehr in der Toilette rauchen, er warne sie! Da hat er aber recht in den falschen Busch gepinkelt. Die drei sind sehr anständige, wohlerzogene, junge Männer. Sie rauchen nur während der langen Pausen draußen auf dem Bahnsteig, räumen im Abteil immer alles sauber hinter sich auf und wenn ich mich am Abend hinlege, dann stellen sie sofort unaufgefordert auf Flüsterton um. In dem Moment als sie angeschnauzt worden waren hatte jeder gerade eine Dose Bier vor sich auf dem Tisch (das einzige Mal in 72Std). Ist ein Biertrinker immer auch ein Auf-der-Toilette-Raucher? Wie auch immer, es hat sie kalt gelassen.




Es ist Morgen 6:14 Uhr. Wir machen eine Viertelstunde Halt in Omsk. Ich gehe wieder raus an die frische Luft und schlendere den Bahnsteig auf und ab. Hier kann man am Kiosk heisses Essen (горячее питание) kaufen. Ein Tee und ein paar Scheiben vom getrockneten Brot reichen mir aber völlig.



In ca. acht Stunden kommen wir in Novosibirsk an, wo mich Danil, Roman und Aleksandr verlassen werden. Mal sehen, wer dann in mein Abteil einzieht. Gut möglich, dass ich mir ihre ruhige Gesellschaft zurück wünschen werde. Wobei ich sagen muss, dass es im allgemeinen ruhig ist im ganzen Wagen. Einzig der Fluch der heutigen Zeit stört auch hier: Tablets, Smartphones & Computer.

Die Landschaft verändert sich langsam. Zu beiden Seiten der Transsib ist es flach bis zum Horizont. Unter den Bäumen dominiert hier die Birke. Sie wächst in kleinen oder grösseren Gruppen zwischen denen sich riesige, offene Flächen befinden, die meist mit Schilfgras bewachsen sind. Offensichtlich eine eher sumpfige Gegend. Es wäre nicht möglich, mit dem Kompass zu Fuß immer geradeaus zu gehen, dafür aber würde man zum Meister der Umgehungstechnik werden. Gut möglich, dass es große Flächen gibt, die nicht durchquerbar sind. Entlang der Schienen sehe ich viele, große Pfützen, zu groß, um drüber zu springen, zu tief, um hindurchzuwaten und wahrscheinlich würde man bereits schon am Rand der Pfütze versinken.

Ich frage meine Jungs, wie denn das hier im Winter funktioniere, ob spezielle Schneefräse-Züge zum Einsatz kommen, um die Schienen frei zu halten? Achselzucken.
Wieviel Schnee es denn so gibt in einem durchschnittlichen und in einem harten Winter?
Achselzucken, dann meint einer, dass seine Großmutter erzählt habe, der Schnee hätte manchmal bis zum dritten Stockwerk hinauf gereicht.
Ich bin ein wenig erstaunt, wie wenig sie über ihre Gegend wissen. Es scheint sie etwa so viel zu interessieren, wie unsere Schüler der Französischunterricht. Das ist mir schon in Perm aufgefallen. Sie wussten nicht, dass wir uns dem Ural nähern und auch nicht, dass dieser die Grenze zwischen Europa und Asien darstellt.
Dafür haben sie ein Jahr in Severomorsk überstanden, wo es im Winter erst um 10:00Uhr hell und um 17:00Uhr bereits wieder dunkel wird, die Sonne während einiger Monate gar nie auf und im Sommer nie unter geht. Wenn man keine Uhr habe, verliere man völlig jegliches Zeitgefühl, meinen sie.

Ich sehe gerade von weitem eine Kuhherde, auf die Schnelle geschätzt etwa 50 Tiere. Bisher die erste Herde, die ich entdecke. Wenn das Land so sumpfig ist, wie es mir scheint, dann wundert mich das nicht. Für Landwirtschaft, wie wir sie kenne, eignet sich das Land nicht.

Ein Holzereibetrieb, es liegen ein paar Kubikmeter Birkenstämme draussen, nicht viel. Daneben etwas, was mich an die alte Kokerei in Zürich Schlieren erinnert. Nicht in Betrieb, kein Dampf, kein Rauch.

Wir fahren durch kleine Ortschaften. Viele gedrungene, einstöckige Häuser, vereinzelt zweistöckige. Und dann wieder Sumpfwiesen bis zum Horizont. Ich beginne zu verstehen, warum Torf aus Russland kommt (oder kam).