Dienstag, 7. Juli 2015

Transsib Tag 3

Wieder eine kuze Nacht. Ich habe allen möglichen Blödsinn geträumt. Verfolgungszeugs. Irgendwie spannend, aber auch anstrengend, passend zur Reise.Wirklich tief schlafen kann ich nicht, aber es ist auch nicht nötig. Wenn ich ausruhen will, kann ich mich jederzeit hinlegen.
Gestern tauchte plötzlich ein Mann auf, der in extrem harschem Ton meine drei Jungs zurechtgewiesen hat, sie mögen ja nie mehr in der Toilette rauchen, er warne sie! Da hat er aber recht in den falschen Busch gepinkelt. Die drei sind sehr anständige, wohlerzogene, junge Männer. Sie rauchen nur während der langen Pausen draußen auf dem Bahnsteig, räumen im Abteil immer alles sauber hinter sich auf und wenn ich mich am Abend hinlege, dann stellen sie sofort unaufgefordert auf Flüsterton um. In dem Moment als sie angeschnauzt worden waren hatte jeder gerade eine Dose Bier vor sich auf dem Tisch (das einzige Mal in 72Std). Ist ein Biertrinker immer auch ein Auf-der-Toilette-Raucher? Wie auch immer, es hat sie kalt gelassen.




Es ist Morgen 6:14 Uhr. Wir machen eine Viertelstunde Halt in Omsk. Ich gehe wieder raus an die frische Luft und schlendere den Bahnsteig auf und ab. Hier kann man am Kiosk heisses Essen (горячее питание) kaufen. Ein Tee und ein paar Scheiben vom getrockneten Brot reichen mir aber völlig.



In ca. acht Stunden kommen wir in Novosibirsk an, wo mich Danil, Roman und Aleksandr verlassen werden. Mal sehen, wer dann in mein Abteil einzieht. Gut möglich, dass ich mir ihre ruhige Gesellschaft zurück wünschen werde. Wobei ich sagen muss, dass es im allgemeinen ruhig ist im ganzen Wagen. Einzig der Fluch der heutigen Zeit stört auch hier: Tablets, Smartphones & Computer.

Die Landschaft verändert sich langsam. Zu beiden Seiten der Transsib ist es flach bis zum Horizont. Unter den Bäumen dominiert hier die Birke. Sie wächst in kleinen oder grösseren Gruppen zwischen denen sich riesige, offene Flächen befinden, die meist mit Schilfgras bewachsen sind. Offensichtlich eine eher sumpfige Gegend. Es wäre nicht möglich, mit dem Kompass zu Fuß immer geradeaus zu gehen, dafür aber würde man zum Meister der Umgehungstechnik werden. Gut möglich, dass es große Flächen gibt, die nicht durchquerbar sind. Entlang der Schienen sehe ich viele, große Pfützen, zu groß, um drüber zu springen, zu tief, um hindurchzuwaten und wahrscheinlich würde man bereits schon am Rand der Pfütze versinken.

Ich frage meine Jungs, wie denn das hier im Winter funktioniere, ob spezielle Schneefräse-Züge zum Einsatz kommen, um die Schienen frei zu halten? Achselzucken.
Wieviel Schnee es denn so gibt in einem durchschnittlichen und in einem harten Winter?
Achselzucken, dann meint einer, dass seine Großmutter erzählt habe, der Schnee hätte manchmal bis zum dritten Stockwerk hinauf gereicht.
Ich bin ein wenig erstaunt, wie wenig sie über ihre Gegend wissen. Es scheint sie etwa so viel zu interessieren, wie unsere Schüler der Französischunterricht. Das ist mir schon in Perm aufgefallen. Sie wussten nicht, dass wir uns dem Ural nähern und auch nicht, dass dieser die Grenze zwischen Europa und Asien darstellt.
Dafür haben sie ein Jahr in Severomorsk überstanden, wo es im Winter erst um 10:00Uhr hell und um 17:00Uhr bereits wieder dunkel wird, die Sonne während einiger Monate gar nie auf und im Sommer nie unter geht. Wenn man keine Uhr habe, verliere man völlig jegliches Zeitgefühl, meinen sie.

Ich sehe gerade von weitem eine Kuhherde, auf die Schnelle geschätzt etwa 50 Tiere. Bisher die erste Herde, die ich entdecke. Wenn das Land so sumpfig ist, wie es mir scheint, dann wundert mich das nicht. Für Landwirtschaft, wie wir sie kenne, eignet sich das Land nicht.

Ein Holzereibetrieb, es liegen ein paar Kubikmeter Birkenstämme draussen, nicht viel. Daneben etwas, was mich an die alte Kokerei in Zürich Schlieren erinnert. Nicht in Betrieb, kein Dampf, kein Rauch.

Wir fahren durch kleine Ortschaften. Viele gedrungene, einstöckige Häuser, vereinzelt zweistöckige. Und dann wieder Sumpfwiesen bis zum Horizont. Ich beginne zu verstehen, warum Torf aus Russland kommt (oder kam). 

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